„… daß die Natur erschaure, wenn der Geist sich huldigend vor der Schönheit neige… T.M.“ ist ein ziemlich passendes Zitat für den schönen Sommermonat Juni, den Newsletter und für das Universum, in das ich mich in den letzten Tagen, sogar Wochen begeben habe. Der seltsam schöne Film, den wir im Mai in unserer Kinoreihe seitenweise Film „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ war Motivation, sich dem „Magier“ des 20. Jahrhunderts zu widmen. Es ist eben eine geraume Weile Zeit vergangen, dass der Schriftsteller noch präsenter in meinem Leben und später Buchhändlerleben war. 5,2 Millionen Treffer zeigen die gängigen Suchmaschinen, die öffentlich rechtlichen Sender überschlagen sich in diesen Tagen mit Dokumentationen, biographischen Filmen (oben genannter Film ebenfalls) und Verfilmungen, um den wohl bedeutendsten deutschen Schriftsteller zu seinem 150. Geburtstag zu würdigen. Den Hörbuchfreunden wird es da auch einfach gemacht. Zeitlose Klassiker wie „Mario und der Zauberer“, „Der Tod in Venedig“, „Königliche Hoheit“ und vieles mehr, von bekannten Schauspielern wie Gert Westphal, Ulrich Noethen, Matthias Brandt und von Thomas Mann selbst gelesen, findet man in der ARD Mediathek. Ein Geschenk für mich, denn das mit dem erneuten Lesen der Meisterwerke, das schaffe ich nicht. Und ich habe wiederum große Freude an dieser Erzählkunst, der wohlgesetzten Worte und der angenehmen Langsamkeit, die dennoch so dicht gesetzt ist und der es an Ironie auch nicht mangelt. Ein Satz vom Wortmeister in „Joseph und seine Brüder“ soll 347 Wörter enthalten. Wer diesen Satz findet, der bekommt eine Bücherwundertüte von uns. Dass sich der 150. Geburtstag eines Genies auch eignet, der Bücherwelt neue Biographien, neue Interpretationen, neue Betrachtungen etc. zu schenken, liegt in der Natur der Sache bzw. ist es ein willkommener Anlass dafür. Für die Interessenten sei hier das Weiterlesen des Newsletter empfohlen. Auch wir präsentieren in unserem Schaufenster ein beträchtliche und interessante Auswahl. Zum Beispiel Tilmann Lahmes Sicht auf Thomas Mann, die mit unbekannten Tagebuchpassagen und Auszügen aus Briefen die ganz persönliche Not des Schriftstellers dokumentiert, den gesellschaftlichen Normen nicht zu entsprechen. Weniger zu neu interpretiert verhält sich da das Buch von Hermann Kurzke. Die Persönlichkeit bleibt aber auch da ein Mysterium. Er gilt als faszinierend, kalt und verletzend. Und unglaublich diszipliniert, eben nicht nur, was seine Arbeitsweise und seinen Arbeitsalltag betrifft. Tatsächlich hat er sich nur in seinen Werken frei gefühlt und vor allem frei geschrieben. Über die stillen Liebesgeschichten schreibt auch Oliver Fischer in seinem Buch „Man kann die Liebe nicht stärker erleben“. Dies notierte Thomas Mann 1943 über seine Beziehung zu Paul Ehrenberg. Beide begegnen sich 1899 schon, in einem Münchner Salon, und Paul Ehrenberg eröffnet dem jungen Thomas Mann Leichtigkeit und Lebenslust. Jene Freundschaft bleibt nicht von Dauer, da Paul sich 1933 mit den Nazis arrangiert. „Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden“ – das schrieb Thomas Mann im Jahr 1938 und die Veröffentlichung von Kai Sina „Was gut ist und was böse“ mag erst mal ein bisschen plakativ klingen, beleuchtet aber das äußerst facettenreiche politische Engagement Thomas Manns in der Debatte um den Zionismus. Schon in den Zwanzigerjahren war er Mitglied in einem prozionistischen Unterstützerverein. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich mit Nachdruck für die Gründung eines jüdischen Staates ein, der den Überlebenden der Shoah, deren Schrecken und Ausmaß er als einer der ersten Intellektuellen vor aller Welt benannt hatte, eine sichere Heimstätte bieten sollte. Auch in Martin Mittelmeiers Buch „Heimweh im Paradies“ wird der politische Aspekt betrachtet, allerdings ist da der Betrachtungsort Thomas Manns weit weg vom eigentlichen, in Los Angeles und in den 1940er-Jahren. Die Westküste ist natürlich ein Traumort schlechthin, die Exilanten genießen eher die Sinnesfreuden der Umgebung. Hier sind sie alle gestrandet, die im Deutschland der Nationalsozialisten keine Heimat mehr haben oder haben wollten: Arnold Schönberg, Vicki Baum, Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Helene Weigel, Max Horkheimer, Hanns Eisler, Franz und Alma Werfel – und allen voran: Thomas Mann. Sie feiern, reden sich die Köpfe heiß, langweilen sich, streiten darum, wie ein demokratisches Deutschland nach Hitler aussehen könnte. Als wichtigstes politisches Vermächtnis gelten seine Reden „Deutsche Hörer!“. Das war der Titel einer Reihe von 55 Radioansprachen Thomas Manns, die der BBC zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 meist regelmäßig einmal monatlich ausstrahlte. Es handelte sich um fünf- bis achtminütige, pointiert formulierte Reden, in denen der Autor sich mit der politischen Lage Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus befasste, das Kriegsgeschehen kommentierte und mahnende Worte an seine Landsleute richtete.
Ja, wie sehr deutlich Thomas Manns Leben/ Dasein/ Reflektionen/ literarischen Figuren an seine Familie, an seine Frau und Kinder, an seine Geschwister gebunden war, das ist ein ganz anderes und sehr umfangreiches Universum, das ich mal weglasse, weglassen muss (es sei nur bemerkt, dass ich ein großer Klaus Mann Fan bin), denn ihre Lesezeit für unseren Newsletter ist auch begrenzt… Aber erwähnen möchte ich doch Hans Wißkirchens „Zeit der Magier“ – eine Biographie über Heinrich und Thomas Mann. »Was reden doch die zwei unwissenden Magier da?« Das dachte Golo Mann immer wieder, wenn er Heinrich und Thomas, seinen Onkel und seinen Vater, über Politik reden hörte. Wie aber steht es wirklich um die politische Urteilskraft dieser beiden großen Autoren des 20. Jahrhunderts? Wie wurden diese beiden Bürgersöhne aus Lübeck zu glühenden Verteidigern der Demokratie? Hans Wißkirchen hat es zu ergründen versucht. Zur vergnüglicheren Lektüre sei Volker Weidermanns Buch „Mann vom Meer“ erwähnt. Das Meer war für Thomas Mann sein Leben lang der Ort der Sehnsucht. Deutsche Romantik und Todessehnsucht – und Ort der Befreiung von den Konventionen, den politischen, literarischen, erotischen Zwängen des bürgerlichen Lebens. Ebenso gibt es eine feine Sammlung „Mit Thomas Mann am Meer“, die jene Intension textlich dokumentiert. Und können Sie sich an den Dreiteiler „Die Manns“ erinnern? Ich war gerade ganz irritiert, dass jener schon 2001 ausgestrahlt wurden, von Marcel Reich-Ranicki damals als „Glanzstück“ bezeichnet wurde… (Ohje, die Zeit vergeht – war doch erst gestern). Der Regisseur Heinrich Breloer hat nun ein Porträt des jungen Thomas Mann unter dem Titel „Ein tadelloses Glück“ veröffentlicht, in dessen Mittelpunkt ab der ersten Begegnung in der Straßenbahn Thomas‘ hartnäckiges Werben um die Münchener Millionärstochter Katia Pringsheim steht. Eine Fernsehproduktion sollte es werden, nun ist es ein „Sachroman“. Und als Hommage an den „Zauberberg“ bezeichnet Heinz Strunk seinen “Zauberberg 2“, hat ihn allerdings in die mecklenburgische Einöde und Neuzeit verlegt und Jonas, den in der Krise befindlichen Start-up-Unternehmer, ins Sanatorium geschickt. Der gesamte Plot ist dem Meisterwerk nachempfunden, aber sehr strunksch – todkomisch und todtraurig – sagt er selbst. Darf ich noch eines bitte vorstellen? Friedhelm Marx und Julian Voloj „Thomas Mann – 1949 Rückkehr in eine fremde Heimat“, illustriert von Magdalena Adomeit ist ein Graphik Novel und erzählt in Bildern eben jene zehntägige Reise nach Deutschlands, die Thomas Mann mit seiner Frau Katia von Frankfurt am Main über Nürnberg und München nach Weimar unternimmt. Er hält Reden in beiden Teilen Deutschlands, was seinem Deutschlandbesuch auch politisch höchste Brisanz verleiht.
Nun genug geMannt und es soll bitte als herzliche Einladung gelten, den „Magier“ neu oder überhaupt zu entdecken.
Ein paar wenige Worte möchte ich noch verlieren zum Nichtmehrdasein von Peter, Peter Wolf – meinem Lyriksalonpartner und meinem väterlichen Freund vor allem. Und wieder merke ich, dass man sich schwer tut, Worte zu finden, die die Traurigkeit, die sich über die Seele legt, ausdrücken zu können. Ich verliere einen wichtigen Menschen meines Leben, den ich seit über 40 Jahren kannte, der mich manchmal mehr und manchmal weniger begleitet hat. Und das ich dankbar bin für diese Zeiten und vor allem auch für die Lyriksalonzeiten, das sollte gewiß sein. Meine Gedanken sind bei ihm und bei bei seiner Familie.
Herzlichste Grüße Ihnen zur gerade erfrischten Sommersonntagabendnacht, genießen Sie den Sommer und für die Auswahl Ihrer Sommerlektüre stehen immer gern bereit
Heike, Martina, Josy und Jens