Dass die Leipziger Buchmesse nicht ganz die Besucherzahlen von 2019 erreicht hat, das lag nicht an mir! Ich war da! Und es war ein beglückendes Gefühl nach diesen vielen Jahren Abstinenz durch die für die Buchhändlerseele heiligen Hallen zu spazieren. Dass ich da ein bisschen anders schaue, als Sie es tun würden, liegt in der Natur der Sache – wir haben aus der Vielzahl der neuen Bücher längst für Sie ausgewählt… Für mich ist es die wunderbare Möglichkeit, Verlagskollegen zu treffen. Die, die man nur per Emailaustausch kennt oder per Telefon, die, die man nur zweimal im Jahr sieht und auch die, die man schon längst mal kennenlernen wollte. Buchmessedirektor Oliver Zille nannte die diesjährige Buchmesse ein „fulminantes Comeback“ und zog eine positive Bilanz: „Die Leserinnen und Leser haben sich ihre Messe zurückerobert. Die Grundidee der Leipziger Buchmesse – Sichtbarkeit für Literatur und für Bücher zu schaffen – ist wunderbar aufgegangen – und das in einer sehr herzlichen und entspannten Atmosphäre.“ Ziemlich erfreulich ist da auch die gestrige Meldung unseres Buchhändler- und Verlegerverbandes, die besagt, dass junge Buchkäufer aktiver auf dem Markt sind. Pro Kopf werden mehr Bücher erworben, mehr Geld fürs Kulturgut ausgegeben. Konnte ich deutlich sehen in Halle 4 auf der Buchmesse und wir sehen das auch mit großer Freude im Taschenbuchladen. Ziemlich ausführlich gerade, da wir fast täglich Schulklassen im Laden haben, die nicht nur ihr Geschenkbuch zum „Welttag des Buches“ bei uns abholen, sondern uns auch erzählen, was sie gerade gern lesen. Zumindest der Großteil.
Herzlichen Glückwunsch auch an den diesjährigen Buchmessepreisträger für Belletristik Dinçer Güçyete, der mit seinem Debüt-Roman „Unser Deutschlandmärchen“ die Geschichte seiner Familie stellvertretend für viele sogenannte Gastarbeiter erzählt, die Rassismus und unmenschlichen Arbeitsbedingungen erleben mussten. Regina Scheer wurde im Bereich Sachbuch für ihre Biographie „Bittere Brunnen: Hertha Gordon-Walcher und der Traum von der Revolution“ ausgezeichnet, die das Leben der Sekretärin von Clara Zetkin erzählt.
Unsere gestrige „Kultur zum Mittag“ Zeit war nicht nur für mich etwas ganz besonderes. Eine kleine Buchpremiere feierten wir mit Lukas Schergaut, Inspizient an unserem Theater. Gefüllt mit wunderbaren Haikus und, wie ich lernte, Tankas zu TagesJahreszeitenAugenblickgedanken im weiten Sinne und umrahmt von federleichten Zeichnungen des Künstlers Udo Haufe ist das feine Büchlein „Gestohlene Ansichten“ gelungen, welches wir nicht nur den Lyrikfreunden ans Herz legen. Erschienen ist es im von Marcus Sandmann (vielleicht erinnern Sie sich, er war Sänger an unserem Theater) und seinem Bruder gegründeten Dresdner S.Sagenhaphter Verlag.
Zum Lyriksalon möchten wir Sie einladen! Ein paar freie Plätze gibt es noch, um zu hören, was Janis Joplin zu sagen hatte. Es ist ja nicht nur ihre markante Stimmen, die die 70er Jahre prägte. Ihre Botschaften Ihnen näher zu bringen, das ist unser Anliegen. Tonja Gold und Monika Reithofer werden ihre Texte lesen und darauf freuen wir uns sehr.
16.05. 20 Uhr im Salon der Stadtwirtschaft Reservierungen bitte bei uns
Es bleiben noch ein paar Zeilen, Ihnen meinerseits zwei Bücher zu empfehlen…
Meine Lieblingsschriftstellerin und Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk hat mit „Empusion“ einen Roman vorgelegt, der eine „natur(un)heilkundliche Schauergeschichte“ (sagt sie selbst) und eine Hommage an Thomas Mann ist. Laut der Autorin ist der Titel eine Zusammensetzung aus Symposium und Empusa (eine weibliche Schreckensgestalt der griechischen Mythologie). Die Handlung des Buches beginnt im Herbst 1913 im Kurort Görbersdorf, dem heutigen Sokolowsko in Niederschlesien. Dort wurde 1855 die weltweit erste Tuberkuloseheilanstalt gegründet. Ein Student aus Lemberg, Mieczyslaw, kommt in das malerische Gebäude am Fuß der Berge in der Hoffnung, dass die innovativen Methoden der Klinik bei ihm Wunder bewirken. In der Herrenpension, in der er ein Zimmer bewohnt, trifft er unter anderem den Katholiken Longin Lukas aus Königsberg, den Sozialisten August August aus Prag und Thilo von Hahn, einen Malereistudenten aus Berlin. Die Männer diskutieren – ähnlich wie bei Mann – über das Gespenst des Krieges in Europa, die Existenz von Dämonen und die Probleme von Monarchie und Demokratie. Schön erzählt Olga Tokarczuk das in ihrer gewohnt bildhaften und mythisch phantasiereichen Sprache und transportiert auch wieder sehr eigenwillig ihre weibliche Sensibilität für Geschichte und Politik. 2001 erklärte sie: «Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit reizt mich sehr. Es gibt keine eindeutige Vergangenheit. Das, was wir als Vergangenheit begreifen, ist nur eine der möglichen Interpretationen, ein Blickpunkt, der nicht den Anspruch erheben kann, objektiv zu sein.»
Robert Seethalers neuer Roman „Café ohne Namen“ ist auch so ein kleiner und großer Zauberberg. Das Café befindet sich Mitte der 1960er Jahre in einem der ärmsten Viertel Wiens. Alle Gäste bringen ihre ganz eigenen Geschichten mit. Robert Seethaler erzählt in seinem klugen Roman von den Sorgen und Sehnsüchten einfacher Leute, die sich nicht unterkriegen lassen. Es ist eine Gemeinschaft Verlorener, die sich rührend umeinander sorgt und heftig miteinander streitet. Viele der von lakonischer Beiläufigkeit geprägten Plaudereien im Café münden ins Aphoristische. Aufgesetzt wirkt das nicht. Seethalers Figuren sind zwar einfache, aber zugleich lebenskluge Menschen. So schön erzählt Robert Seethaler ruhig und zuweilen mit trockenem Humor vom Leben als einem beständigen Werden und Vergehen. Er folgt dabei den Menschen, denen nichts geschenkt wird. Wie es eben so ist im Täglichen…
Und unserer ganz profanen Alltäglichkeit wünschen wir jetzt vor allem mal Wärme, die eine oder auch die andere 🙂
Herzliche Grüße von Heike Wenige, Martina Gehlhaus und Iva Tscherniradeva