Klingeling macht unser Ladentürwindspiel nun seit 3 Wochen glücklicherweise wieder. Ach wie herrlich das doch ist! Folgenlos war und wird diese vorangegangene Schließzeit nicht sein. Darum lassen Sie mich bitte von ganzem Herzen für Ihre Treue und ihr Vertrauen in dieser Zeit danken, in der Sie uns als Versandbuchhändler ausprobieren mussten. Daran habe ich im Nachhinein übrigens noch immer Freude, denn sehr hübsch sind auch die teilweise sehr lieben Buchungstexte, die ich nun auf meinen Kontoauszügen wieder finde. Und lieben Dank für die Blumen und die Schokoladen und die lieben Worte, die uns erreichten und die dem Anlass durchaus angemessenen Getränke, die wir gleich probieren mussten… Und: Unserem anonymen „Helfer in der Krise“ wollen wir ganz ausdrücklich und von ganzem Herzen danken, wir sind noch immer sehr gerührt, so eine Monatsmiete ist ein großartiges Geschenk.

Der Ausblick, achja… Dass wir hier enthusiastisch Zeilen füllen dürfen mit all unseren schönsten kulturellen Dingen, die uns für Sie so einfallen oder schon ganz fest geplant waren, das scheint mehr und mehr in noch weitere Fernen zu rücken. Hoffnungsfroh warten wir auf den Juni, nein, auf Entscheidungen dazu, um Ihnen wenigstens zur Kultur am Mittag Zeit ein kleines Ständchen bringen zu dürfen. Notfalls eben auch Draußen… Wir vermissen das alles sehr! Wie überhaupt all die kulturellen Freuden unserer Stadt, egal ob im Großen oder im Kleinen. ALLES! Für mich/uns und vermutlich auch für Sie ist auch das „systemrelevant“. Ein Wort, das hoffentlich bald wieder verschwindet aus dem Sprachgebrauch. Diese unwirkliche Zeit bringt so ganz selbstverständlich Worte zu Tage, die man doch im eigentlichen nur wenig verwendet oder bitteschön verwenden möchte wie „durchseucht“ und „Aluhutträger“ oder „Öffungsdiskussionsorgie“ oder gar „Coronaflickenteppich“.

„Denn ohne Kunst wirds still“ – es ist still, zu still und unsere Buchhandlung ohne kulturellen und sozialen Austausch, der maskenhaft verhindert ist (die Verweildauer im Lädchen ist diesbezüglich und nur zu verständlich unfreiwillig minutiös), ist eben anders als im eigentlichen. Darf ich bitte noch gleich mehr Empörung loswerden? Denn das die Stadt Freiberg bzw. der Oberbürgermeister ernsthaft am Bergstadtfest festhalten, eine Verschiebung auf den September in Erwägung ziehen – das darf doch bitte empören, nein wütend machen! Sämtliche großartigen Musikfestivals und Sommerkonzerte und sogar die für Verlage noch wichtigere Frankfurter Buchmesse im Herbst werden schon jetzt abgesagt mit Verständnis auf das derzeitige. Aber unsere Stadt meint, dass dieses „für Händler und Gastronomen wichtige Fest“ stattfinden soll – Sehr lauter Zwischenruf!!! Kein Freiberger Händler wünscht sich/braucht dieses Bergstadtfest, und von Innenstadt ansässigen Gastronomen weiß ich, dass der Aufwand den Einnahmen keinesfalls gerecht wird. Kann man mal bitte aus dem dem Rathausfenster schauen oder gar hinaustreten, um einen innerstädtischen Händler und Gastronom oder Bürger nach ersatzweisen Dingen oder überhaupt zu befragen?

Ach, lassen Sie mich lieber über #zweiterBücherfrühling plaudern, denn die Frühjahrbuchprogramme unserer Lieblingsverlage brauchen doch noch Ihre ganze Aufmerksamkeit. Die komplett geschlossene Buchhandlungslandschaft, einhergehend mit nicht stattgefundenen oder stattfindenden Lesungen setzen der Verlagswelt und den Autoren ziemlich zu. Das ist auch nicht mehr aufzuholen. Wir geben unser bestes und da schreibe ich gleich mal über Kerstin Hensel, die zu meinen Lieblingsautorinnen gehört, und ihr neues Buch „Regenbeins Farben“. Um drei Damen geht es. Sie pflegen die Gräber ihrer Männer. Die drei sind sich schon früher über den Weg gelaufen, die Malerin, die Kunstsammlerin und die emeritierte Kunstprofessorin. Jetzt sehen sie sich regelmäßig und kommentieren, mal hämisch, mal spöttisch, mal zugewandt, die ästhetischen Vorlieben der jeweils anderen. Schöne Figuren hat sie da geschaffen, die Autorin. Jede wird in ihrem Eigensinn detailverliebt charakterisiert. Man sieht sie vor sich und könnte die Besetzungsliste für eine Verfilmung aufstellen. Abwechslung ins grabpflegende Leben kommt aufkommt auf, als sich ein Witwer zu der kleinen Friedhofsgesellschaft gesellt. Jede stellt sich insgeheim vor, was sie mit ihm unternehmen würde, und er nährt diese Phantasien, indem er zu jeder von ihnen Kontakt hält. Ein Roman, der aufs Schönste Tragik und lebensbejahende Komik verbindet.

Die Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher erzählt in „Ich an meiner Seite“ von Arthur. 26 Monate hat Arthur im Gefängnis verbracht, und kaum ist er entlassen, steht der junge Mann wieder vor verschlossenen Türen. Jobs gibt es nur mit einem lückenlosen Lebenslauf. Aber wer will schon einen ehemaligen Häftling einstellen? Sein Glück ist der unkoventionelle Therapeut Dr. Vogl, beauftragt, Arthur (und die anderen aus der entlassenen Mitglieder der WG…) auf die richtigen Bahnen zu führen. Auf Band lässt er sich Arthurs Geschichte erzählen und so erfährt man die Lebenstragik eines Wohlstandsverwahrlosten. Die beiden werden nahezu Freunde und entwickeln eine kleine Lüge, die Arthur wieder ins richtige Leben führen soll. Denn das ist das eigentliche Thema des Buches: Wer sind wir, wenn wir nicht über die richtigen Papiere verfügen, auf denen steht, was wir können und wozu wir befugt sind? Ziemlich sachkundig und gewissermaßen aus professioneller Perspektive erzählt Birgit Birnbacher. Sie beleuchtet und durchdringt nicht, sie protokolliert mit ehrlichem Interesse, Sensibilität und angenehmer Zurückhaltung.

Und den Liebling der französischen Buchhändlerinnen (mit sage und schreibe 14 Literaturpreisen ausgezeichnet) möchte ich Ihnen noch vorstellen, denn „Das wirkliche Leben“ von Adeline Dieudonnè ist eine ziemlich grandiose Geschichte, unentwegt aus der Sicht des Mädchens erzählt, das namelos bleibt. In einer scheinbar gediegenen Siedlung am Waldrand wächst sie in einer dysfunktionalen Familie auf. Der brutale Vater lässt seine Wut an der Mutter aus. Die Mutter, als „farblose Amöbe“ bezeichnet, versucht wiederum, nicht vom Vater bemerkt zu werden und bemerkt dabei ihre Kinder nicht. Die Geschwister lieben sich innig, doch eine Tragödie verändert auch dies. Ausgestattet mit Intelligenz und Mut und Kraft versucht sie, sich ein anderes Leben zu erkämpfen.

Und als Trost für den nun schon zweiten ausgefallenen Lyriksalon schicke ich Ihnen ein Liedchen von Dota. Die hat nämlich Mascha Kalekos Lyrik feinst vertont und sich auch mit ein paar namenhaften Gästen geschmückt und eine schöne CD herausgebracht, die bei uns im Lädchen dudelt… https://www.youtube.com/watch?v=ySiWzFg_TK8

Liebe Grüße von Heike Wenige, Martina Gehlhaus und Katrin Steinert