DEZEMBERNEWS i. V.
„Mach du mal“, sagte die Buchhändlerin meines Vertrauens zu mir, „ich komme gerade nicht dazu. Keine Kraft.“ Ausatmen. Schweigen. Pause. Und weil ich in dieser Pause nicht schnell genug „Nein!“ rief und weil man Heike Wenige sowieso kaum was abschlagen kann, haben Sie mich nun an der Backe.
Was tun? Hmmmh … Es gibt zwei Veranstaltungen im Dezember, auf die die Plakate hinweisen: zum Nikolaus „Kultur zum Mittag“ (6.12.) um 12.10 Uhr im Taschenbuchladen und am selben Tag um 20.00 Uhr in der Reihe „Seitenweise Film“ die Romanverfilmung „Small World“ nach Martin Suter im Kunsthandwerkerhof.
Und da Weihnachten ja eigentlich mit der Vorfreude beginnt, hatte ich eine sehr einfache Idee: Ich nehme Sie mit durch den Taschenbuchladen und empfehle Ihnen jene Bücher, die Sie möglicherweise zu Weihnachten verschenken könnten. Oder sich selbst schenken lassen. Strengstens subjektiv natürlich, aber vielleicht sind ein paar Titel dabei, die Ihnen ebenso wie mir Freude, Lust und Neugier aufs Lesen und aufs Leben machen. Ganz versunken und doch wach. In Zwiesprache mit einem Text sein. Was lese ich in das Buch hinein? Was liest mich aus dem Buch heraus? Und warum?
Los geht’s von vorne rechts. Dort finden Sie:
Bodo Kirchhoff: Widerfahrnis. Frankfurter Verlagsanstalt. – Meisterhaft komponierte Novelle. Von der Möglichkeit einer Liebe, ohne ausreichend lieben zu können und immer nur gut zu sein … Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2016.
Juli Zeh: Unter Leuten. Roman, Luchterhand. – Mehr Feind als Freund auf dem Dorf, das sich am Bau einer Windkraftanlage spaltet. Juli Zeh erzählt über allzumenschliche Motive wie Gier, Eifersucht, Neid und Streit im Alltag und zeichnet das Bild einer Gegenwart voller Gereiztheit und Selbstaufgabe.
Lea Streisand: Im Sommer wieder Fahrrad. Ullstein. – Die wundersame Geschichte ihrer Großmuter rettet das Leben der Autorin… Lea Streisand schreibt für die taz und hat eine Kolumne auf radio Eins. Immer originell und nah am Leben.
Brita Steinwendtner: Der Welt entlang – Vom Zauber der Dichterlandschaften. Haymon. – Die Autorin ist zu Gast an den Lebens- und Sehnsuchtsorten von Schriftstellern wie Friederike Mayröcker bis zu Weltensammler Ilja Trojanow. Reisen Sie mit!
Haben wir die Regale am Kassentresen vorbei umrundet, ist es Zeit für die Bücher für Kinder und Jugendliche. Von jung nach älter sortiert:
Daniela Kulot: Zusammen! Gerstenberg. (Alter von 2, 3, naja 4 + würde ich sagen) – Wunderbares Bilderbuch über Unterschiede und Toleranz, spielerisch und heiter vermittelt. Mit Bildern zum Weglachen!
Katharina von der Gathen / Anke Kuhl (Illustration): Klär mich auf – 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema. Klett. (8 + ) – Es ist unausweichlich und schon vor der heißen Phase der Pubertät wichtig. So macht Aufklärung Spaß! Ein Buch wie ein Kalender, um darin zu blättern. Wunderbar leichte unpeinliche Zeichnungen, angenehme Sprache. Und selbst die Erwachsenen können noch was lernen …
Wolfgang Herrndorf: Tschick. rowohlt. (14 +) – Zwei Jungs auf einer Spritztour ins Blaue, die im Blaulicht endet. Mit dem „geborgten“ Lada durch die ostdeutsche Provinz, durch den Sommer ihres Lebens. Atmosphärisch unnachahmlich gewebtes Jugendbuch von Wolfgang Herrndorf, längst Schullektüre und Theaterstoff, auch in Freiberg!
(Und für alle westdeutsch sozialisierten eine alternative Geschichte aus der schwäbischen Provinz: Bov Bjerg: Auerhaus. Blumenbar. 14 +)
Nicht zu vergessen das kleine Regal mit den CDs und Hörbüchern:
Die Briefe der Manns – Ein Familienporträt. hr2 Kultur. – Mit Corinna Harfouch, Max Volkert Martens u.a. – Als ob Sie mit am Tisch sitzen würden …
Sven Regener liest Franz Kafka: Der Prozess (ungekürzte Lesung). tacheles! – Der Sänger der Band „Element of Crime“ als Vorleser – eine Entdeckung!
Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke – gelesen vom Autor selbst. Random House. – Meyerhoff, Schauspieler, Autor und Wortakrobat, verdichtet Erinnerungen an die Großeltern, als hätte Loriot Pate gestanden. Tragikomisch und sehr menschlich. Hören!
Tim Gernitz: Wir ehren die Queen – Wenn die Notendealer nun aus Freiberg nach Dresden ziehen, lassen sie doch ihre Musik hier. Frontmann Tim hinterlegt uns sein Soloalbum …
Harts un Neschome: Di Musik klingt asoj scheijn – Klezmer die tswaite – Herzerwärmende und tanzbare Musik der Gruppe um die Klarinettistin Anja Bachmann – gehört unter jeden Tannenbaum!
Lokale Entdeckungen, im Regal gleich neben der Tür: Um ein Stück Heimat ein Stück besser verstehen zu können:
Albrecht Koch (Hrsg.): Die erste in der Welt: Gottfried Silbermann und die Freiberger Domorgel aus dem Jahre 1714. Chemnitzer Verlag – Profunde Würdigung der Orgelbaukunst Silbermanns von einem Musiker, der selbst heute darauf spielt …
Roland Dreßler/Christine Klecker: Zur Geschichte des Freiberger Theaters. Verlag Klaus Gumnior. – Aus Anlass des 225. Theatergeburtstags entstandener Band mit vielen erhellenden Geschichten und Fakten, reich bebildert und ein Geschenk für jeden, der das Haus und die Künste darin liebt …
Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins 109./110. Heft 2016 –u.a. mit einem intensiv recherchierten und dicht erzählten Beitrag über das Leben in Freiberg in der NS-Zeit von Michael Düsing. Wie die Eliten in Verwaltung und Politik bei der Gleichschaltung des öffentlichen Lebens und der Verfolgung ihrer jüdischen Mitbürger Hand in Hand gingen. Ein Lehrbeispiel über die Gefahren des Populismus und mögliche Folgen …
Wendy Holden: Schicksalskinder. Die KZ-Babys von Mauthausen. Weltbild. – Zwei der drei waren jüngst in Freiberg, trugen sich ins Silberne Buch der Stadt ein, ihre Lebenswege wurden besprochen, sie trafen bei Zeitzeugengesprächen Interessierte – und eine ist hier vor dem Transport nach Mauthausen im April 1945 in der ehemaligen Porzellanfabrik geboren. „Ich bin eine Freibergerin“ sagt Hana Berger Moran. Dass sie überlebt haben, gleicht einem Wunder. Die britische Autorin Wendy Holden brachte sie zusammen und erzählt ihre bewegenden Biografien.
Aus dem Regal der Bildbände und Biografien:
Matthias Bertram (Hrsg.): Das pure Leben – Fotografien aus der DDR. Die späten Jahre 1975-1990. Lehmstedt. – Zweiter Band der Leipziger Fotografieedition des ostdeutschen Fotorealismus. Momentaufnahmen des Lebens, ungeschminkt und zart. Erinnerungen ohne Nostalgie, gelebtes Leben aufgehoben in meisterhaften Fotografien. Was bleibt? Sowas!
Johnny Cash – Biografie von Robert Hilburn. Berlin Verlag. – In Vorfreude auf den Lyriksalon mit Derek Rue und Rita Zaworka am 31. Januar und 1. Februar 2017 im Salon der Stadtwirtschaft schon mal ein Blick ins voluminöse Werk über den amerikanischen Ausnahmesänger.
Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. C. Bertelsmann. – Der Universalbürger Humboldt, einst auch Student in Freiberg, zog aus, die Welt zu entdecken und zu verstehen, mit viel Herz und nicht nur mit dem Gelehrtenschädel. Eine von heute aus geblickte und unseren globalen Zusammenhängen überaus bewusste Lebensbeschreibung eines forschenden Menschen, der den Kosmos neu dachte.
Und zum guten Ende? Was gibt es noch?
Zwei feine Sachen:
Bergstadtspaziergang – Der Kalender 2017. Die kleine und die große Variante. 12 Monate Freude pur.
Barbara: Hass ist krass. Liebe ist krasser. Bastei Lübbe. – Zettel, Aufkleber, Plakate. Aufgehängt und dann fotografiert. Naive wie tiefgründige Interventionen einer anonymen Künstlerin, die seit 2014 unsere Wirklichkeit und ihre absurden Momente kommentiert. Sie ist ein Phantom, aber in den sozialen Netzwerken beliebt und präsent. Ein cooles Geschenk!
Einen schönen Advent, ein Frohes Fest und auf ein Gesundes Neues Jahr 2017
i. V. Matthias Wolf (Dramaturg am Theater)